Montag, 26. Mai 2008

So tönt's im Prättigau

Jenaz_100508
Herrlicher Sonnenschein empfängt uns im frühlingshaften Jenaz. Die Bäume, die Wiesen, die Gärten – alles blüht. Kaum zu glauben, aber vor einem Monat lag hier noch viel Schnee. Unsere Gastgeber sind mit den Vorbereitungen zum „Ineluege“ (Tag der offenen Tür) in ihrem Heim beschäftigt. Ab drei Uhr nachmittags wird der Bevölkerung von Jenaz die Gelegenheit geboten, das renovierte und mit viel Liebe umgebaute Haus zu besichtigen und bei Speis und Trank im Garten zu verweilen. Auch wir sind eingeladen und werden die Gelegenheit nutzen, mit den Leuten des Dorfes in Kontakt zu treten.
Vorerst aber sind wir mit Herrn Vetsch von der Wollspinnerei verabredet. Mit ihm möchten wir die Wollproduktion für unser Projekt mit dem roten Faden besprechen. Auf dem Weg dorthin staunen wir über das Schwärmen der Maikäfer, in den Obstbäumen vernehmen wir das Summen der Bienen, beim Bach die rollenden Steine - the real „rolling stones“, von fern auch das Rauschen der Umfahrungsstrasse; „so tönt’s im Prättigau“ auch (eine Musikkassette gleichen Titels mit Volksmusik gibt’s bei der Pro Prättigau).
Zusammen mit Peter Trachsel gehen wir zur Wollspinnerei. Als erstes bietet uns Herr Vetsch an, seinen Betrieb zu zeigen. Mit grossem Interesse verfolgen wir seine Führung durch den kleinen Familienbetrieb und sind fasziniert davon, dass hier die gesamte Produktion von der Rohwolle bis zur Strange unter ein und demselben Dach stattfindet – also vom Schafspelz bis zum eingefärbten Faden. Rohwolle, noch ganz fettig, wird zum Waschen geschickt, später dann bei Vetsch mit dem „Wolf“ (eine beeindruckende Maschinerie mit vielen Zähnen) auseinander gezupft und zum feinsten Faden verarbeitet. Ausführlich erklärt er uns die einzelnen Produktionsschritte, denn wir möchten den gesamten Herstellungsprozess auf Video festhalten. Wir einigen uns auf einen Termin anfangs Juni.

Nach der Besichtigung besprechen wir unser geplantes Projekt mit Peter Trachsel. Er äussert Bedenken bezüglich unserer Arbeit mit dem roten Faden, meint, sie könnte falsch interpretiert werden: als Der rote Faden, der die einzelnen Gemeinden des Prättigau verbindet. Zum Teil hat er ja auch Recht; es muss für „Ein Museum in Bewegung – 14 Räume für die Kunst“ etwas darüber hinaus Verbindendes und Verweisendes zwischen den Orten und den Künstlern geben, als es sich in einem „roten Faden“-Produkt manifestieren würde. Natürlich darf der rote Faden nicht zum „Logo“ verkommen, sollte nicht Aufhänger für die Presse sein, vielmehr stellen wir uns den roten Faden als ein beiläufiges, unauffällig- auffälliges Ereignis vor, ein Erscheinen und Verschwinden, ein auch zeitlich gestaltetes Ein- und Ausfädeln. Der rote Faden ist dünn, kein Band. Und wird auch übersehen werden. Wir liefern damit ein Bild, das vertraut ist, aber genug Freiraum für weitere, auch komplexe, vielschichtige „Fadenspiele“ lässt. Einfädeln – ausfädeln, zu nicht voraussehbarer Zeit an unbestimmtem Ort - nichts anderes. Der rote Faden als Markierung eines Hochseetaus... Vielleicht führt uns der Faden ja auch in komplett andere Richtungen. Ausgangspunkt, Umkreisungspunkt und Ziel ist und bleibt Jenaz über die nächsten sechs Jahre. Der kaum sichtbare rote Faden ist ja nicht das alleinige Projekt, „Zeit“ und „Faden“ sind unsere Themen, die uns die nächsten sechs Jahre begleiten, in Jenaz sichtbar werden. Ein Hochseetau wird von Aussen nach Innen und von Innen nach aussen getragen, das Fadenarchiv im alten Schulhaus eingerichtet...Gut und wichtig, dass wir darüber gesprochen haben.

Im Garten unserer Gastgeber angekommen, finden wir viele interessierte Leute vor, die die Gelegenheit nutzen, einen Blick ins Innere des Hauses uf Hasatrog zu werfen. Und wir wiederum nutzen die Gelegenheit, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Einige haben bereits an der Gemeindeversammlung von unserer Anwesenheit vernommen und kommen mit uns ins Gespräch. Einige stellen auch ganz gezielte Fragen zu unserem Projekt.


Jenaz, Sonntag 11. Mai 2008
Heute ist Wandern angesagt. Gehend lässt es sich gut überlegen. Und so überdenken wir nochmals unser Projekt. Wir überqueren die Landquart und steigen den gegenüberliegenden Berg hinauf, so dass wir unser Gastdorf immer vis à vis haben. Aus der Ferne kann man das ganze Dorf auf einen Blick betrachten. Liegt es nicht schön auf dieser Terrasse, eingebettet zwischen den Obstbäumen? Wir stellen uns vor, wie aus der Wollspinnerei ein Faden herauskommt, wie aus einem Bauch heraus, immer länger und länger wird und sich durch die Landschaft schlängelt. Ein Faden aus der Wolle der Schafe, welche in dieser Landschaft stehen. Die Wolle, die aus der Landschaft kommt, wird wieder in der Landschaft verteilt. Wir steigen höher und höher, über uns die kreisenden Hängegleiter, auch sie steigen höher und höher. Beim Gehen fällt das Denken leicht. Uns ist klar: Die Arbeit mit dem Faden soll realisiert werden.

Jenaz, Mittwoch 14. Mai 2008
Heute in der Früh fahre ich nochmals nach Jenaz. Ich will im Gemeindehaus das Jenazer Heimatbuch holen. Zu meiner Freude liegt dort auch noch ein Buch mit allen Flurnamen der Gemeinde. Es ist sofort klar, dass es für uns als Arbeitsmaterial unentbehrlich sein wird.
Dann gehe ich der Hauptstrasse entlang nach Pragg. Ich habe die Absicht, in der Wollspinnerei rohe ungewaschene Schafwolle zu holen. Diese brauchen wir, um kleine Schachteln damit zu füllen, welche als Edition für die Erwerber der Anteilscheine bestimmt sind.
Ein Platz macht uns neugierig: Im Jenazer Heimatbuch stossen wir auf den Hinweis, dass es auf Haderegg einen Seiler gab. Weil dort kein genügender Platz vorhanden war, spannte er seine Seile über das Töbeli hinüber. Dank dem Buch mit den Flurnamen finde ich die Haderegg und suche den Ort auf.

Bern, Montag 26. Mai 2008
Unser Gastgeber aus Jenaz hat uns inzwischen per email unterrichtet, dass er an der Theateraufführung mit Urban Mathis, dem Gemeindepräsidenten ins Gespräch kam. Der Gemeindevorstand sei vom Projekt einstimmig begeistert und könne sich vorstellen, ein Schaf zu sponsern. Ausserdem plant der Gemeindevorstand einen zweitägigen Grenzumgang mit Übernachtung auf der Alp, und lädt uns ein, mitzukommen. Heute ein nettes Telefonat mit Urban Mathis gehabt, im Herbst sei das geplant. Möglich, dass wir dann von der Wollspinnerei aus einen Teil des Fadens im Furner Tobel auslegen
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